Arbeit vergesellschaftet: Gesellschaftliche Arbeit ist
eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.
Auch wenn in einer postfordistischen und stärker
fragmentierten Gesellschaft die herkömmlichen Gleichungen
– zum Beispiel Arbeiter, Gewerkschaftler
und Wähler einer der großen Volksparteien – nicht
mehr ohne Weiteres gelten, vermittelt sich über Arbeit
weiterhin die soziale Rolle und der Status der/
des Einzelnen. Die jeweilige Stellung im sozialen
Raum ist von den Chancen auf eine auskömmliche,
nicht prekäre Beschäftigung abhängig; und hier liegt
eine der Ursachen der gegenwärtigen Spaltungen
der Gesellschaft. Die kollektiven Identitäten – die
Identifikationen mit Gruppen und Milieus – werden
zwar in der individualisierten Gesellschaft nicht mehr
so sehr über die oft nur kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse
in wechselnden Projekten, Betrieben
und Teams gestiftet, allerdings ist das individuelle
Selbst- und Fremdbild des Einzelnen weiterhin stark
an die jeweilige Tätigkeit gebunden.
Die anthropologischen Arbeitstheorien gehen davon
aus, dass Arbeit, stets Last und Lust, Menschsein ausmacht.
Das „animal laborans“ hat sich durch Arbeit
selbst hervorgebracht; das tätige, nachhaltige Hineinwirken
in die Welt, die „Verdinglichung“ (Hannah
Arendt), verändert nicht nur den Kreislauf von Produktion
und Konsumption, sondern auch wiederum die
Voraussetzungen des Schaffens des „homo faber“
und dessen persönliche Entwicklungsmöglichkeiten.
Persönliche Entwicklung und gesellschaftlicher Wandel
werden so zusammen gedacht.
Durchdenkt man diese existenzielle Bedeutung von
Arbeit – Erwerbsarbeit ist nur eine Spielart davon
–, wird die Dramatik von Entfremdungsprozessen
deutlich: Der Mensch entfremdet sich durch die kapitalistische
Lohnarbeit, durch den Verkauf seiner Arbeitskraft,
von nichts weniger als vom Menschsein,
so Marx. Und auch die Folgen von Dauerarbeitslosigkeit
haben ähnliche Wirkungen, führen zu Agonie
und Stillstand.
Flüchtlinge sind, bis sie registriert, mit einem gewissen
Anerkennungs- oder Duldungsstatus versehen
werden, sofern sie diesen überhaupt bekommen,
lange Zeit an dystopischen Orten am gesellschaftlichen
Rand zum Warten verurteilt. Sofern sie nicht
rasch in Praktika, Ausbildungen oder einen Betrieb
einsteigen können, setzen diese Effekte ein: Verlust
an Selbstwirksamkeit und Teilhabe an einem Alltag,
der die Traumata der Flucht phasenweise verdrängen
lässt. Folgt man der These von der Relevanz der
Arbeit für die menschliche Existenz, kommt diesem
Nichtstun-Dürfen auf längere Zeit etwas Dehumanisierendes
zu.
Gesellschaftliche Arbeit integriert. Nicht nur zeigte
sich dies in der Nachkriegszeit bei den Deutschen,
die durch das „Wirtschaftswunder“ und gesicherte,
auskömmliche Arbeitsplätze auch zu Demokraten
gemacht wurden. Dies zeigte sich auch bei den
„Gastarbeitern“, die mit ihrer Arbeit unsere Städte
als Lebenswelten und Geschmackslandschaften
verändert haben. Angesichts der öffentlichen Klagen
über „Parallelgesellschaften“ werden diese
Geschichten, etwa von neuen Unternehmern und
sozialen Aufsteigern mit „Migrationshintergrund“
viel zu selten noch wahrgenommen.
Aus den positiven wie auch den negativen Erfahrungen
mit der allmählichen Integration der „Gastarbeiter“
und ihrer Familien, die eigentlich nicht auf
Dauer bleiben sollten und wollten, lässt sich lernen.
Mobilität und mitgebrachtes Wissen kann, wenn es
als Ressource wahrgenommen wird und hier – in
Betrieben etwa – sich entfalten kann, nicht nur den
Flüchtlingen wieder eine menschenwürdige Perspektive
zurückgeben, sondern auch bereichernd für die
Gesellschaft wirken. Wird jedoch zu lange gewartet,
werden die Hürden – an Sprachkenntnissen und
formaler Bildung – zu hoch gesetzt oder fehlen die
nötigen Angebote und gelingt die Integration der
Flüchtlinge in die Schulen und Ausbildungsgänge
nicht, weil nicht genügend Mittel bereitgestellt
werden, dann bildet sich ein sozialer Sprengstoff.
Diejenigen, die hier desillusioniert festsitzen, werden
dessen beraubt, was Menschsein ausmacht: für sich
selbst sorgen können, Chancen auf Mitgestaltung
und Konsum haben.
Arbeit ist, so Marx und andere, nicht nur eine produktive Kraft der Natur- und Umweltaneignung. Das Zerstörerische einer nicht in produktive Zusammenhänge hinein gelenkten „Arbeit“ bekommen wir über die Medien vorgeführt, wenn wir von den Gräueltaten von zu Terroristen mutierten Flüchtlingen lesen. Gesellschaftliche Arbeit ist sicher kein Allheilmittel; die gegenwärtigen Radikalisierungen und zerstörerischen Kräfte haben viele Wurzeln. Tägliche Arbeit ist aber nicht zuletzt auch eine Form sozialer Kontrolle, in der Veränderungen von „Gefährdeten“ eher bemerkt werden können.
© Foto: Prof. Dr. Irene Götz